Entschlossen zum Handeln
Aus dem Leben gegriffen
Das war doch eben ein Schrei, oder habe ich mich getäuscht? Ich folge dem Geräusch und finde mich in den Toilettenräumen wieder. Ehe ich ankomme, vernehme ich ein dumpfes, beängstigendes Geräusch, das an den kargen Fliesen widerhallt. Zwei Klassenkollegen, drängen sich an mir vorbei. Da sehe ich plötzlich Mustafa blutverschmiert in der Ecke kauern.
„Mustafa, was ist denn mit dir passiert?“
„Diese Schweine haben mir eins aufs Maul gegeben!“
Schon wieder. Das ist bereits das zweite Mal, dass einer meiner türkischen Kollegen zusammengeschlagen wurde. Und das als Resultat von wochenlangen, ausländerfeindlichen Beschimpfungen über WhatsApp. Immer wieder wurden Gruppen mit Titeln wie „Ausländer raus“ oder „Scheiß Sozialschmarotzer“ erstellt.
Ich war entschlossen zu handeln: „Komm, gehen wir zum Direktor, dann werden diese Neonazis schon sehen, wie ihnen geschieht!“ Aber Mustafa entgegnete erschrocken: „Nein, tu mir einen Gefallen und lass das sein. Mein Asylverfahren läuft ja eh gerade nicht perfekt, und willst du, dass ich wieder abgeschoben werde? Und ich werde denen mit meinen Kumpels in den nächsten Tagen schon eine Überraschung bescheren!“
Natürlich wollte ich nicht, dass Mustafa wieder in seine Heimat zurückmuss.
Doch die Drohgebärden gingen weiter und wieder wurde ein Freund von mir zusammengeschlagen. Die Tage vergingen und jeden Tag war mir beim Betreten des Schulgebäudes noch mulmiger zumute. Eines Tages, als ich nach dem Werkunterricht wie immer durch den Hinterausgang zur Bushaltestelle ging, hörte ich schon aus der Ferne das Geräusch streitender, wütender Personen, die kurz davor waren, sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen. Zu mir drangen nur mehr Wortfetzen wie „Geht doch nach Hause, ihr saublöden Türken“, aber ich spürte, dass die Eskalation des Streites kurz bevorstand. Mit nie geahnten Kräften erklomm ich die Stufen des Direktorats und sprang, ohne zu klopfen, mit einem Satz in das Büro des Direktors. Noch bevor dieser, dem seine Verwunderung ins Gesicht geschrieben stand, zu Wort kommen konnte, schrie ich: „Herr Direktor kommen Sie sofort zur Bushaltestelle, sonst gibt es dort bald eine Massenschlägerei!“ Dieser sprang von seinem Sessel und rannte sofort in Richtung Hintertür, und ich hechtete ihm mit letzter Energie nach. Als wir ankamen, war es höchste Zeit. Die beiden Streitparteien wollten gerade aufeinander losgehen, aber als diese die Stimme des Direktors hörten, erstarrten alle. „Ihr meldet euch morgen unverzüglich in meinem Büro! Jeder Einzelne von euch!“
Am folgenden Tag waren wir dann alle vom Unterricht freigestellt. Doch anders als erwartet bekamen meine Mitschüler nicht einen Aufsatz über zehn Seiten, sondern jeder wurde einzeln zum Direktor gerufen und gefragt, warum er eigentlich in den Streit verwickelt war und was er gegen die anderen eigentlich auszusetzen hat. Nachdem ihm nicht wirklich einer eine plausible Erklärung abgeben konnte, war der Grundstein für seine pädagogische Arbeit gesetzt.
Jetzt, zwei Monate später, hat sich die Situation in vielerlei Hinsicht verbessert und es sind sogar neue Freundschaften entstanden. Außerdem wurde ich zum Schulsprecher gewählt und versuche nun mit diesem Text die Grenzen in österreichischen Klassenzimmern zu öffnen. Ist es nicht egal, welche Nationalität, Hautfarbe oder Religion jemand hat? Auch Zivilcourage ist wichtig! Denkt das nächste Mal daran, wenn jemand Hilfe benötigt und meldet es eurem Lehrer!