Baldersdorf 27
Österreich
Fernes Ufer
Das leise Plätschern des Baches erfüllte die Stille des Waldes.Die dünnen Äste der alten Bäume wirkten schaurig,wie lange dürre Finger die sich nach ihr ausstreckten.Der Platz war einmal ihr Lieblingsort gewesen,doch nun spürte sie nur mehr eine tiefe Schuld.Sie war lange nicht mehr hier gewesen.Die Stimmen ihrer Eltern hallten in ihren Kopf wider.Eigentlich sollte sie gar nicht hier sein,doch es zog sie immer näher zum Ufer hinab.Zwei Jahre lang hatte sie hier ihre ganze Zeit verbracht,mit jenem Jungen,der am anderen Ufer,hinter der alten Ruine lebte.Zögernd ging sie zum Ufer hinab,die Blätter raschelten dabei.Mit nur einem kleinen Sprung könnte sie an das andere Ufer gelangen,nichts trennte sie von der anderen Seite und doch konnte sie eine unsichtbare Mauer spüren.Das Verbot ihrer Eltern lastete schwer auf ihren Schultern.Nie hatte sie gedacht,dass sie ihr die Freundschaft mit einem dunkelhäutigen Jungen verbieten würden.Ihr Vater hatte ihr angedroht,sie in ein Internat zu schicken,wenn sie sich widersetzen würde.Ewig hatte sie sich nicht widersetzt,obwohl sie wusste, wie sehr er sie brauchte.Sie war der einzige Mensch,der ihn die Grausamkeiten fremder Menschen vergessen ließ.Viele Menschen hielten ihn für Abschaum,der es nicht verdiente gut behandelt zu werden.Die Leute hatten eine Mauer um sich errichtet und verstärkten sie,indem sie ihn beschimpften und mobbten.Es gab Zeiten,in denen es eine Schande war,ein Afroamerikaner zu sein,in denen sie ausgegrenzt und für nicht begangene Verbrechen verurteilt wurden.Es waren Zeiten,in denen die Menschen eine Grenze zwischen sich und den dunkelhäutigen Menschen gezogen hatten.Diese Zeiten sollten vorbei sein,doch die Mauer war geblieben,die einen vor einer nicht vorhandenen Gefahr schützen sollte.Das Mädchen streckte eine Hand vor sich aus und berührte die unsichtbare Mauer.Die andere Seite des Baches schien so weit entfernt zu sein,genauso wie die Menschen davon,ihre Mauern einzureißen und ihn zu akzeptieren.Sie konnte die Menschen verstehen,wenn sie Angst hatten und aus diesem Grund einen Schutzwall errichteten,doch sie durften ihn nicht wehtun oder seine Zukunft verbauen.Oft war er von einer Schule zurückgewiesen worden,nur weil Fremde es immer wieder schafften ihn Taten anzuhängen,für die er immer wieder vor Gericht treten musste.Wie gerne würde sie nur mit einem Schlag die Mauern der Menschen einreißen und ihnen klar machen,dass niemand ein schlechter Mensch war,nur,weil er anders aussah.Das Rascheln von Blättern ließ sie zusammenzucken.Nicht weit entfernt, am anderen Ufer stand ein dunkelhäutiger Junge mit den Händen tief in den Taschen vergraben und den Blick ins fließende Wasser gerichtet.„Adam“,leise begrüßte sie ihn.Er schloss für einen Moment die Augen bevor er sie ansah und sie konnte sehen wie verletzt er war.Das Mädchen hatte ihn verraten.Nur um sich zu schützen,hatte sie ihre Freundschaft aufs Spiel gesetzt.Ohne es zu merken,hatte sie selbst eine Mauer um sich erstellt,sie hatte es nicht gewollt,doch sie hatte ihn so verletzt wie die meisten Fremden es immer taten,sogar noch mehr,weil er gedacht hatte,sie wäre anders.„Eve“,damit riss er sie aus ihren Gedanken.Die Fünfzehnjährige wusste nicht,was sie sagen sollte,oder wie sie ihm beweisen sollte,dass sie nicht so war wie die anderen.„Du solltest nicht hier sein“,das Mädchen zuckte bei seinen Worten zusammen.„Ich hätte nie fortgehen sollen“,Eve sah ihm direkt in die Augen,um die Schuld einzugestehen.Mit den Schultern zu zucken war alles was er tat.„Ich will nicht so wie die anderen sein,weil ich weiß,dass es falsch ist“,die Worte sprudelten einfach aus ihr heraus,„Es tut mir leid.“Adam starrte nur auf seine Füße.„Vielleicht ist es besser so“,meinte er schließlich.„Auf keinen Fall“,widersprach sie ihm,„Es ist nicht richtig.Die Einstellung der Menschen ist falsch,das weißt du.“Wieder zuckte er einfach nur mit den Schultern.„Tu es nicht“,Eve wollte nicht,dass er einfach so schnell aufgab.„Lass es einfach sein,ok?“,bat er leise.„Weil es so leichter ist?“,fragte das junge Mädchen. Sein wortloses Kopfschütteln, ließ sie beinahe durchdrehen.„Du tust doch genau das,was die anderen auch tun, sich auf ihren breiten Hintern setzten, mauern, nur weil es so einfacher ist“,brach es aus ihr heraus.„Willst du auch anfangen,Fremde zu verletzen,nur weil sie genau das Gleiche mit dir tun?“„Wach auf,Schätzchen“,seine Ruhe schien unangebracht,„So ist es eben“„Wach du auf,bevor du unter deinem Schutzwall erstickst“,wütend sah sie ihn an.„Was soll ich sonst tun?“,traurig betrachtete er sie.Ohne den Blick von ihm abzuwenden,sprang sie auf seine Seite des Ufers:„Wir wecken die anderen auf.“„Wie? Wenn sogar du Zweifel hast“,fragte er.„Erzähl deine Geschichte“,die Fünfzehnjährige lächelte ihn an,„Wir müssen anfangen,damit es irgendwann enden kann.“„Das Funktioniert?“,der Afroamerikaner schien zu zweifeln.„Ja“,Eve nickte knapp,„Wir verwischen die Grenzen.Die Mauern werden die Menschen selbst einreißen."